In Bonn und im Bon's
Those where the days - Leningrad Cowboys
2009
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Zu den wirklich schönen Zeiten meines Lebens zählen auf jeden Fall die vier Jahre in denen ich in der Bonner Altstadtkneipe Bonn-Bon`s gearbeitet habe. Heute gibt es das Bon´s nicht mehr. Es ist zwar immer noch eine Kneipe, aber die die Wache und steht unter neuem Management. Und das letzte Mal als ich da war, konnte der Keeper außer Wodka, wirklich nichts empfehlen. Außerdem saß ich in der Küche... Die Wand zur Frontseite wurde aufgerissen und ein Fenster eingesetzt. Welch unglaublicher Frevel, wohl möglich öffnen sie das neu modische Ding auch noch hin und wieder um frische Luft herein zu lassen. So was hat es zu meiner Zeit nicht gegeben ! Die Duftmischung von Zigarettenrauch, Pizza, Tsaziki und Bier gehörte zum unverkennbaren Bonn-Bons-Flair. Gelandet bin ich in dieser Kneipe natürlich erst mal als einfacher Kunde, der dann aber schnell zum Stammgast wurde. Ich war oft mit Daniel oder Volker, mit dem ich in Irland war, dort. Regelmäßig beschwerte ich mich über die Musik. Oft liefen die gleichen Tapes, teilweise mehrfach hintereinander , was die Laufkundschaft nicht mitbekam. Volker (ein anderer, nicht der erwähnte) war großer Stones-Fan, was zur Folge hatte, dass diese Kombo mir irgendwann zu den Ohren raus kam. Eines Abends als ich mal wieder meckerte, raunte Milo der Samstagskeeper mich an: " Weißt du was? Wenn dir die Musik nicht passt, dann mach doch selber welche !" "Echt ? Meinst du das ernst" fragte ich zurück. "Ja, Mann. Komm nächsten Samstag um halb sechs und bring Musik mit, dann sehen wir weiter." Ich fing also am nächsten Wochenende an. Zunächst nur als vierter Mann zur musikalischen Untermalung des Abends. Milo, Volker und Sabine nahmen mich sehr nett auf. Besonders gut verstand ich mich mit Sabine. Da wir meist den gleichen Musikgeschmack hatten taten wir uns zusammen und ließen den anderen kaum eine Chance noch eigene Wünsche anzubringen. Das lief sehr gut. Personal und Gäste waren zufrieden und später kamen viele Leute auch gerade wegen meiner Musik in`s Bon`s. Wenn es richtig voll wurde, half ich dann auch irgendwann bei der Getränkeausgabe und in der Küche mit. Später war ich als zweiter oder dritter Mann zusammen mit Martin und Sabine, Lisa, Silke oder Anette eingeteilt. Mit Martin arbeitete ich, bis ich irgendwann keine Zeit mehr für den Job hatte. Wir hatten viel Spaß miteinander. Martin wurde Geschäftsführer und machte mit mir die Samstagsschicht. Ein paar mal arbeiteten wir zusammen mit Anette, die gerade neu ins Team gekommen war. Martin versicherte ihr bereits am ersten Abend, dass es üblich sei um Mitternacht einen doppelten "Jack Daniels" hinunterzukippen. Ein Muss, Tradition die befolgt werden will, zwingend notwendig. Anette hasste es! Sie konnte "Jack Daniels" nicht ausstehen, wollte sich aber als Neuzugang nicht als Einzige enthalten und so biss sie die Zähne zusammen und schluckte das Zeug unter unglaublichen Gesichtsverenkungen herunter. Erst viele Wochenenden später erfuhr Anette, dass es zwar eine Mitternachts-Getränk Regelung gab, man aber genausogut einen kleinen "Genever" oder so trinken konnte. Die Abende mit Martin endeten fast immer volltrunken. Ein Fläschchen "Jack Daniels" gekoppelt mit einigen Bieren gehörten zu unserem Standartrepertiore. Im Anschluss an die Arbeit ging es oft noch zum Frühstück in die Beuler Markthallen, die ab fünf Uhr geöffnet hatten. Mit Martin in der Bar gab es so gut wie nie Stunk. Das traute sich einfach niemand, der ihn sah. Er hatte das klischeehafte Aussehen eines Vollblutfaschos, was er natürlich nicht war. Groß, bullig, Glatze und wenn es sein musste mit einem Ich-reiß-dich-in-Stücke-und-fress -dich-zum-Frühstück-Blick. Heute hat Martin eine kleine Whisky und Blues Kneipe in der Maxstraße in Bonn, die "ZONE". Geht mal hin wenn ihr in der Gegend seid, es lohnt sich. Es gibt dort die edelsten Whisky-Sorten. Diese Kneipe hätte fast schließen müssen, als die Verordnung zum Schutze der Nichtraucher durchkam und das damit verbundene Rauchverbot in Gaststätten, da viele seiner Stammgäste Raucher sind. Doch bei Martin durfte zunächst weiter geraucht werden, weil er seine Kneipe kurzerhand zu einem Vereinsheim gemacht hatte. So wurden Martins Gäste Vereinsmitglieder in der "F.u.C.K."(Föderation undogmatischer Cigaretten-Konsumenten). Irgendwann waren die Gäste aber dann doch noch gezwungen zum Rauchen das Lokal zu verlassen. Bis zum nachlesen dieses Textes, also am 24.8.2019, gibt es die Zone jedenfalls immer noch. Manchmal ging es schon ganz schön heiß her im Bonn Bon`s, vor allem beim Karneval. Der Laden war dann voll wie die U-Bahnen nach Berlin rein morgens um sieben. Anette und ich arbeiteten oft Rosenmontag, weil man da richtig gut Knete machen konnte. Es war überhaupt ein recht einträglicher Job. Zu meinen WG Zeiten arbeitete ich nur an zwei Tagen in der Woche in der Kneipe und kam gut damit hin. Ist schon verrückt, das wäre heute undenkbar. Aber zu Karneval war es wie gesagt besonders gut und besonders voll. Es war jedes mal ein Abenteuer mit, dem voll beladenen Tablett von hinter der Theke in die Massen einzutauchen. Jeder der mal gekellnert hat weiß, wie wundervoll es ist wenn einem die Gäste ohne Vorwarnung einfach ein volles Glas vom hoch erhobenen Tablett herunter grabschen. So kam man jedes mal durchtränkt von Bier wieder zurück Immer wieder lustig war dabei auch die Konsequenz mit der viele, gerade jüngere Gäste darauf bestanden, statt einem ordinären Kölsch ein ordentliches Pils zu bekommen. Lustig daher, weil es mit Fortschreiten des Abends und parallel verlaufendem Steigen des Alkoholpegels der besagten Gäste oft vorkam, dass wir nur noch Kölsch hatten. Da haben wir dann halt mal eben drei von den fünf bestellten Bieren etwas tiefer unter den Zapfhahn gehalten, damit mehr Schaum drauf ist. "So, drei Pils und zwei Kölsch. Bitte schön. Macht von jedem drei zwanzig." und keiner hat in den ganzen Jahren je was gemerkt. Dreimal musste ich in meiner Dienstzeit auch als Streitschlichter tätig werden. Einmal reichte es den beiden Kontrahenten ein Bier aufs Haus auszugeben. Das zweitemal hatte ich es an einem Donnerstag gleich mit zwei Gruppen Afrikanern zu tun, welche gerade auf dem besten Wege dahin waren, ihre Fäuste in ihre bis dahin verbale Auseinandersetzung mit einzubringen. "Was nun ?" begann ich zu überlegen. Sollte ich mich Todes mutig zwischen die Reihen werfen, sozusagen als lebendes Schutzschild für insgesamt zehn bis zwölf Leute ? Oder ruf ich die Bullen und verstecke mich in der Küche bis Ruhe einkehrt ? Da kam mir ein Geistesblitz. Die Gäste, die in den Streit verwickelt waren, kamen aus dem gegenüberliegenden "Cafe´Duck" einer Kneipe mit ein Uhr Konzession die vorwiegend Reaggea spielte. Wir hatten eine drei Uhr Konzession, weswegen sich bei uns ab eins immer ein sehr gemischtes Publikum einfand. Ich schlussfolgerte dann nach folgender Theorie: Gäste von gegenüber - Rasta - Jamaika - Afrika - Ganja (Cannabis) - Streit - Ärger - Lösung ? - Reaggea Music. Rasch legte ich "Stir it up" von Bob Marley auf und glaubt es oder nicht, sofort lösten sich die zur Faust geballten Gesichter beider Seiten. Man schüttelte sich die Hände und entschuldigte sich gegenseitig. Nach zwei weiteren Stücken selber Machart saßen beide Parteien gemeinsam an den Tischen und überschlugen sich im gegenseitigen Bier ausgeben. Der dritte Fall war nicht so leicht zu klären. Es ging alles recht schnell. Typ eins macht Typ zwei blöd an. Von wegen " Wasglotzdesoblödarschloch, isch holl de schwier Iesestang un schlach dir en Trepp in de Hals, dann kannste ding Fress rungerdrare !" Typ zwei antwortete:"Wat hast du denn für en Problem, verpiss dich!" Das war für Typ eins der Startschuss. Er setzte zum Schlag an. Doch da ich die Entwicklung verfolgt hatte, befand ich mich bereits hinter Typ eins und packte ihn in diesem Augenblick, um ihn sogleich aus der nahen Eingangstür hinauszuschieben. Da die Tür im Bon`s sich nur auf Knopfdruck von der Theke aus von außen öffnen lies, war Typ eins aus dem Rennen und der Streit beendet. Das Positive an der ganzen Aktion war, dass Ulli ein Stammgast, das ganze beobachtet hatte. Er organisierte Security-Teams für Konzerte und so kam ich zu einem Job als Ordner für ein Genesiskonzert. Das Konzert war geil, aber den Job hab ich nur dieses eine mal gemacht. Zu wenig Geld für zu viel Zeit und Stress. Negativ an der Aktion war, dass mein Auto genau vor der Tür stand. Anscheinend wusste Typ eins das und schlug mir aus Dank die Scheibe der Fahrertür ein. Von da an gab es nur noch eine Plastikfolie als ewiges Provisorium.
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Reden wir mal über Küche und Co, der Laden ist ja jetzt schon lange genug nicht mehr existent. Jahrelang hatte Dieter alles schleifen und verkommen lassen. Erst als Andrea und Sebastian das Ruder übernahmen und in einer großangelegten Renovierungs-Aktion dem Chaos und dem Dreck ein Ende bereiteten, wurde aus dem Bonn-Bons schließlich noch ein recht ordentliches, Lokal. Die Küche im Bonn Bon`s war vor dieser Zeit allerdings so eine Sache. Ich meine, ich selber habe dort gerne und viel gegessen, aber so im nach hinein......naah ja ! Es gab selbst gemachte Pizza, belegte Baguettebrötchen mit Tsaziki und Gullaschsuppe (vom Aldi, ja Leute die war vom Aldi, aus der Dose). Die hygienischen Zustände waren gelinde gesagt eine absolute Katastrophe. Das Personal und die Stammkundschaft konnte das jedoch nie abschrecken und die Laufkundschaft sah das ja nicht, da die Küche hinter einem geheimnisvoll anmutendem braunen Vorhang lag. Immer klebte irgendein Siff auf allem. Eklige Soße sammelte sich auf dem Boden des großen Coca-Cola-Kühlschranks in dem man der Salami beim Wechseln der Farbe zusehen konnte. Die Baguettebrötchen die schon steinhart waren wurden dann eben in der Mikrowelle wieder weich gestrahlt. Der Pizzaofen wurde nie, wirklich NIE gesäubert. Einmal brachte Robert es fertig, als ihm eine Pizza beim Herausnehmen aus dem Ofen mit der Käseseite nach unten, vom Heber auf den Boden klatschte, sie hastig wieder aufzuklauben. Er warf sie auf einen Teller, schob die verrutschten Zutaten ein wenig zurecht, während er unauffällig in Richtung des Gasttisches linste. Dann drückte er die Pizza ala´ Chef der Kellnerin in die Hand und ließ sie servieren. Dem Gast hat's geschmeckt. Wenn man um Sechszehn Uhr zur Vorbereitung ins Bon`s kam, stoben immer Horden von Kakerlaken auseinander und verkrochen sich vor dem hellen Licht. Ein paar der Mutigsten sahen mir in der Küche immer beim Teig ausrollen zu. Das mit den Kakerlaken war aber kein Bonn-Bons-Problem, sondern ein generelles Altstadt-Problem, dem niemand Herr wurde. In anderen Kneipen und Restaurants spielten sich sicher ähnliche Szenen ab, die man dort aber wahrscheinlich nicht so mit dem unverwüstlichen Bonn-Bons-Gäste- und Personal-Humor nahm. Am Abend spielten die Stammgäste Kakerlakenroulette. Dabei wurde, wenn mal wieder eines der possierlichen Tierchen über die Theke rannte (wahrscheinlich so eine Art Mutprobe), flink ein Aschenbecher übergestülpt. Jetzt konnte jeder eine Wette abgeben aus welchem der vier Ausgänge der kleine Racker wohl heraus kriechen würde. Der Gewinner bekam von den anderen das nächste Getränk bezahlt. Ja, damals gab es Aschenbecher in jeder Kneipe. Rauchverbot war da noch undenkbar. Dementsprechend fühlte sich aber am nächsten Morgen auch immer mein Hals an,....röchel,hust ! Im Bonn Bon`s habe ich auch Zwei Mal mein Herz verloren. Zuerst lief ich eine ganze Weile hinter Silke her, mit der ich lange Donnerstags gearbeitet hatte und auch sonst viel unterwegs war. Ich war sehr verliebt... Sie leider nicht. Seufz... Dann arbeitete ich mit Anette und es passierte erneut. Verliebt habe ich mich glaube ich an dem Abend, als ich ihr in der Küche Tsaziki aus ihren Haaren entfernte. "Ähm...,du hast da was." Wenn sie in der Zeit danach mal aus ihrer Wohnung heraus, die über der Kneipe lag (Wie verrückt muss man dafür eigentlich sein ?), eine Pizza bestellte um sie nach zehn Minuten abzuholen, gab ich mir besonders viel Mühe, mit extra viel Belag und so. Es war eine maßlose Enttäuschung für mich wenn dann nach zehn Minuten nicht meine holde Angebetete, sondern ihr damaliger doofer Blöd-Freund angestiefelt kam um die Pizza abzuholen. Irgendwann trennte sie sich von ihrem Freund ("Ohhh,...das ist aber...(schmunzel, krampfhafter Versuch Lachen und Tanzen zu unterdrücken)...traurig, dass eure Beziehung auseinander...(Dreh um, kicher, räusper, dreh wieder zurück.)...gegangen ist. Das ist bestimmt jetzt nicht leicht für dich, du Arme." (Such etwas auf dem Boden, "prust", erneutes räuspern.) Als ich ihr dann eines Abends ihre Lieblingsschokolade (Milka Sahne Creme) unter ihr Kellnerportemonnaie legte, dass heißt nachdem ich sie ihr fast um die Ohren hauen musste, da sie die Geldbörse bei Arbeitsantritt nur hastig aus dem Regal gerissen hatte, hat sie sich dann glaube ich auch in mich verliebt. Sabine ließ sogleich eine Beschwerde eingehen: "Na warte! Ich arbeite schon viel länger mit dem Micha zusammen. Mir hat er noch nie eine Tüte Chips-frisch unter's Portemonnaie gelegt, obwohl er genau weiß wie gerne ich die esse." Sorry Sabine, tut mir echt leid. Irgendwann bekommst du noch ne Tüte nachgereicht. Irgendwann verließ ich mal (wie so oft) sturzbetrunken um vier Uhr morgens das Lokal. Ich fuhr zu der Zeit meinen schönen alten Ford Transit. So einer mit runden Lampen mit Buckeln darüber. Er war hellbeige und hatte eine 1,5 x 1 Meter Piratenflagge auf dem Dach an einer Latte befestigt. Ich hatte den Wagen auf einem etwa dreihundert Meter entfernten Parkplatz abgestellt und wollte aufgrund meines hohen Alkoholanteils im Blut darin übernachten. Auf dem Fußmarsch dorthin überkam mich plötzlich eine ungeahnte kriminelle Energie, verbunden mit Profit-und Raffgier. Kurzerhand entschloss ich mich unternehmerisch tätig zu werden und ins Zweiradgeschäft einzusteigen. Insgesamt trug und schleifte ich drei Fahrräder zu meinem Transporter und hievte sie hinein. Ich zog sogar noch ein viertes mal los und versuchte mich an einem Motorroller. Dieses Unterfangen gab ich jedoch nach einigen Metern aufgrund von Kräftemangel und heftigster Koordinationsproblemen auf. Ich kehrte zurück zu meinem Transit und legte mich schlafen. Ich wachte dann drei Stunden später mit einem Zahnradabdruck auf der Backe und Öl verschmierter Hose auf. Eines der Räder hatte ich mir als Deckbett über gelegt. Stöhnend erhob ich mich, wobei mein T-Shirt sich noch in einer Gangschaltung verhakte, was mich beinahe wieder zu Fall brachte. Nachdem ich mich selbst zum Trottel des Monats ernannt hatte, kletterte ich hastig nach vorne um aus der Stadt zu verschwinden, bevor noch irgendjemand neugierige Blicke in meinen Wagen werfen konnte. "Was nun, wohin mit den Teilen ?" dachte ich und wusste auch gleich die Lösung und die hieß John, Daniels Bruder. Also auf zu John. Da standen wir nun vor dem offenen Wagen. John schüttelte zum wiederholten Male mit dem Kopf und sagte schließlich:"O.K., lad die Räder aus. Scheiße, die muss ich alle auseinander nehmen, die Nummern abschleifen, neu lackieren und wieder anders zusammensetzen. Mann, Mann, Mann, Micha !" Apropos Fahrräder und John. Ich wohnte in Niederkassel und war mal wieder auf einem Gesundheits- und Fitnesstrip. Einer von diesen Anfällen die einen in unregelmäßigen Intervallen überkommen. So machte ich mich eines schönen Tages auf nach Bonn, ins Bonn-Bons. Mit dem Fahrrad. Immerhin vierzehn Kilometer! Dort traf ich John, der eher selten in diesem Etablissement verkehrte. Wir kamen ins Gespräch und tranken das eine oder andere Gläschen. Mit Fortschreiten des Abends entflammte mein Eifer, möglichst viel Alkohol zu konsumieren. Parallel dazu erlosch meine Lust irgendwann noch nach Hause strampeln zu müssen. Ich bekundete dies mehrfach mit leidender Miene gegenüber John. Schließlich bot er mir an bei ihm zu nächtigen, was ich dankbar annahm, da mir dies gut die Hälfte der Wegstrecke ersparte. John war ebenfalls mit dem Rad da. So fuhren wir ziemlich angetrunken gegen zwei Uhr Nachts los Richtung Oberkassel. Ich sagte noch in einem lichten Moment: "John, ich hab keine Ahnung wo´s langgeht. Fahr du vor." Eins war sicher. Mit John würde es keine gemütliche Kaffeefahrt werden sondern wohl eher eine Laienaufführung der "Tour de´France" Daher fügte ich noch rasch hinzu:"Sag rechtzeitig Bescheid wenn wir irgendwo abbiegen." "Ja klar. Mach ich. Kein Problem." gab er zurück. Wir fuhren eine lange Gerade durch Bonn. Über die Kennedybrücke bis zum Adenauerplatz. Die Brücke hinunter legten wir noch mal einen ordentlichen Zahn zu. Mit guten dreisig Km/h rasten wir die abschüssige Straße hinunter. Ich dicht hinter John. Es kam wie es kommen musste. Urplötzlich riss John seinen Lenker herum und bog nach rechts ab. Mein Reaktionsvermögen arbeitete bereits im "Stand-by-Modus" Mein Gehirn schickte noch eine Eilexpress-Meldung los:"Muskelkontraktion einleiten! Arme gegenläufig bewegen um Richtungswechsel vorzunehmen!" Doch der Bote der mit dem Überbringen dieser Nachricht betraut war stand noch, sich nachdenklich am Kopf kratzend, an der ersten Nervenbahn-Abzweigung, als es auch schon krachte. Mein Vorderrad bohrte sich in das nun quer zu mir befindliche Fahrrad Johns. Er kippte zur Seite und vollführte einige halbwegs passable Purzelbäume zur Straßenmitte. Mein Körper klammerte sich krampfhaft an mein Fahrrad und fiel einfach plump mit ihm zur Seite. John rappelte sich, nachdem er seine Bodenturnen-Nummer beendet hatte sofort wieder auf und rannte zu mir herüber. Prüfend blickte er auf mich hinab und sagte dann trocken: "Hier müssen wir rechts abbiegen." "Gut John, alles klar. Danke." krächzte ich meinem großartigen Navigator zu. Eine Zeit lang hing ich mit Volker im Bon`s rum. Ich hatte ihn allerdings nicht dort sondern in einer anderen Kneipe in der Südstadt kennen gelernt, der "Zwylle". Volker war ein langhaariger, bärtiger, bodenständiger Typ, der schon etwas älter als ich war und als Informatiker bei einer kleinen Software-Firma und zusätzlich als externer Mitarbeiter bei IBM, recht gut verdiente. Er fuhr einen coolen roten Ford Mustang, den er Dank des niedrigen Dollarkurses damals erworben hatte und den ich das eine oder andere mal auch steuern durfte. Das war schon was anderes als die runter gewirtschafteten Blechsärge die ich so gewohnt war. Da ich zu der Zeit, neben den zwei Abenden im Bonn-Bons, hauptberuflich in der Möbelspedition zehn bis manchmal sechzehn Stunden am Tag arbeitete, verdiente ich auch nicht gerade schlecht. So konnten wir es uns leisten öfter mal in Restaurants zu verkehren. Am liebsten gingen wir zum Koreaner neben dem "Pawlow"oder zum "Phuket Thai" auf der Oxfordstraße. Wir machten einen regelrechten Wettbewerb daraus, wer von uns das schärfere Essen verträgt. Da konnten einem schon mal die Flammen aus sämtlichen Körperöffnungen schlagen. Peperonis (Nicht die Baby-Dinger aus dem Supermarkt sondern die richtige Importware.) wurden von uns wie Chips gegessen und "Piri-Piri" benutzten wir, wie diese holländischen Schokostreusel oder "Fruchtenhagel" als Brotbelag. Bei "Pizza pie factory" haben wir es sogar mal geschafft, eine komplette Flasche "Tabasco" zu killen. Eines Tages, als wir uns in einem Indischen Restaurant zum Mahl eingefunden hatten, stand der Sieger fest. Nach dreiviertel meines Tellers musste ich, mit unaufhörlichem Schluckauf und einem Mund, der sich anfühlte als wäre gerade eine Handgranate darin explodiert, zerknirscht das Handtuch werfen. Die Vorliebe für "scharfe Sachen" ist aber bis heute geblieben, sagte er recht eindeutig zweideutig, ho ho! Im "Pawlow", einer Kneipe ebenfalls in der Bonner Altstadt, verkehrte ein eher intellektuell, alternativ und künstlerisch angehauchtes Publikum. An den Wänden hingen auch immer wechselnde Bilder von diversen unbekannten Malern der Stadt oder von sonst wo, keine Ahnung. Jedenfalls hatte man immer was zu gucken. Sonntags konnte man schön draußen sitzen und frühstücken, was ich mit Volker auch öfter tat. Alternativ gab es noch das "Rosa Lu" mit einem guten und günstigen Brunch. Nach dem Frühstück, also dann so um drei, ging es weiter zum "Bla Bla", eine Punkkneipe am Stadthaus. Dort tranken wir literweise Kaffee-Baylies und führten unseren persönlichen Runninggag ein. Jeden Sonntag, oder wenn wir Abends da waren vollzog sich das gleiche Ritual. " Hi, zwei Ananassaft bitte." "Boooh, Leute. Wie oft muss ich das noch sagen ? Wir haben keinen verfickten Ananassaft !" "Ah..., okay. Dann mach mir mal....ein....., bist du sicher, dass du keinen Ananassaft hast? Okay, okay, gib mir ne Cola." Nachdem viele Wochen ins Land gezogen waren und wir zwischenzeitlich nur noch mit einem kräftigen "Nein !" begrüßt wurden, wir jedoch kein Mitleid mit dem drangsalierten Nervenkostüm des Keepers hatten, war es endlich soweit. Das Marktforschungsexperiment mit der These:"Regelt die Nachfrage tatsächlich das Angebot ?" wurde erfolgreich beendet. Der Keeper hatte, wahrscheinlich mit Tränen in den Augen und auf Knien rutschend, den Geschäftsführer davon überzeugt, dass es unbedingt notwendig und Finger-hoch-wichtig sei Ananassaft ins Repertoire aufzunehmen. Von wegen das sei jetzt der Renner und gesund soll er ja auch sein. Am nächsten Sonntag bestellten wir Pfirsichsaft! Im "Bla" trafen wir uns auch immer, Mittwochs Abends, zu viert. Volker,Daniel, Jürgen (auch ein Kumpel damals und ich meine auch aus dem PC-Bereich.) und ich. Einmal kam Daniel etwas später dazu und erwähnte gleich, dass er pleite sei und daher nicht lange bleiben würde. Da kamen Volker und Jürgen eine lustige Idee. Sie tuschelten eine Weile und machten Daniel folgenden Vorschlag:"Kein Problem Daniel, wir laden dich ein!"."Oh,äh...,das ist schön, dann bleibe ich natürlich. Ist echt super von euch. Danke!" erwiderte Daniel. "Kein Problem, Daniel, machen wir doch gerne." versicherten beide grinsend. "O.K...." setzte Daniel an, "dann nehme ich...". "Ähhm!", hüstel, stoppte Volker Daniels Beinahe-Bestellung. "Es gibt eine kleine, kaum erwähnenswerte Bedingung, an die dieses Angebot geknüpft ist. Wir übernehmen deine Getränke nur, wenn wir sie aussuchen dürfen und du musst sie auf Ex trinken!" Volker und Jürgen waren sichtlich vergnügt bei dem Gedanken, Daniel ein bisschen zu verarschen. Er würde sicher nach der ersten Abscheulichkeit dankend ablehnen weiterzutrinken. Doch jemand der zum Frühstück,- so geschehen in dem kleinen Beuler Cafe´ am Adenauerplatz-,Salamibaguettes mit Nutella isst und von zu Hause Fleisch mit Minzsauce gewohnt ist (Tja, die Neuseeländische Mutter), hat schon hart gesottene Geschmacksnerven. Einen fürchterbaren Trunk nach dem anderen rann Daniels Kehle hinab, ohne das er großartig sein Gesicht verzog. Ich musste schon beim zaghaften Nippen an dem einen oder anderen Getränk fast weinen. An manchen roch ich vorsichtshalber nur. Hier die Top-Drei der besonders ekligen Drinks. Platz 3: "Blue Curacao", "Jägermeister" und "Johnny Walker", Platz 2: Orangensaft, Eierlikör und Bourbon, Platz 1 : Kölsch-Kakao. Irgendwann war Daniel abgefüllt und grob in Richtung Heimat aufgestellt, losmarschiert. Volker ging kurz darauf auch nach Hause, da er anderntags früh raus musste. Jürgen und ich setzten uns noch ins Bonn-Bons ab, um dort den ultimativen Spitzendrink zu kreieren. Nach ein paar weiteren ungenießbaren Zusammenstellungen enstand schließlich der "Buß-undBett-Tag 2, dessen Zusammmensetzung mir leider entfallen ist und der "Jürgen&Michael DGSD (Double-Gulp-Short-Drink)", der dann aber auch tatsächlich lecker war. Sollte ich mal wieder ausprobieren.
Ach ja, da war dann ja noch ein klasse Getränk. Das einzige Alkoholische von dem ich wirklich nie einen Kater bekam. Es hieß "Russisch Koks". Man nehme ein 2cl-Glas, fülle es mit billigem Wodka, dann lege man eine halbe Zitronenscheibe (Die Früchte sind nie gewaschen worden, fällt mir dabei ein,hmm...!)auf das Glas, drappiere darauf einen Zuckerwürfel und verstecke diesen unter einem kleinen Berg Kaffeepulver. Dann nehme man die dekorierte Zitronenscheibe in die Hand, beiße ab und zerkaue alles zu einem Brei.Nun ergreife man das Trinkgefäß mit dem Kartoffelschnaps und schütte den Inhalt zu dem im Mund befindlichen süß-herben Durcheinander. Jetzt schlucke man das Gesamtkunstwerk und bestelle den nächsten. Nach der fünfzehnten Anforderung dieses Getränks reicht es dann mit erhobenem Glas und der Andeutung eines Versuchs einer verbalen Äußerung für Nachschub zu sorgen. Zu mehr ist man dann aber auch nicht mehr in der Lage. Aber wie gesagt, kein Kater. Um die Entstehungsgeschichte des "Russisch Koks" ranken sich viele Gerüchte und Geschichten. Auch ich vermag nicht die genaue Herkunft mitzuteilen. Ich weiß nur, was in jener Nacht geschah.
Zwischenspiel
("Demon Alkohol" - The Kinks) Es begab sich zu jener Zeit, an einem stürmischen Herbstabend. Tiefgraue Wolkenberge schieben sich träge, aber unbeugsam durch den Oktoberhimmel. In der Ferne sieht man bereits grelle Blitze zucken, denen mit einigem Abstand grollender Donner folgt. Die ersten Tropfen bahnen sich ihren Weg durch die einsetzende Dunkelheit und hinterlassen Pechschwarze Punkte auf den Straßen und Plätzen der vor sich hindösenden Stadt. Finsternis senkt sich hinab und bedeckt die Gassen der Altstadt. Eine Frau mit einer leichten kurzen Jacke hastet merklich fröstelnd, ihre Frisur mit einer über dem Kopf gehaltenen Acktenmappe vor dem einsetzenden Regen schützend, an der Gaststätte Bonn-Bon´s vorüber. Im Inneren des Lokals sitzen an diesem Tag nur drei Stammgäste an der Theke. Im hinteren Teil des Etablissements kuschelt sich ein verliebtes Pärchen aneinander. Auf ihrem Tisch steht eine leere "Jack Daniels"-Flasche, in der ein wenig schräg eine Kerze steckt, die munter vor sich hinflackert. Ich habe eine der Mix-Cassetten eingelegt, stehe im Eingangsbereich und malträtiere den Flipper. Plötzlich klopft es zaghaft an der schweren Eingangstür. Ich öffne leicht irritiert, normalerweise sind unsere Gäste nicht so zurückhaltend. Es ist niemand zu sehen! Höhnisch schleudert mir der rauhe Wind ein paar Regentropfen in mein Gesicht. Ich will gerade einen Schritt auf die Straße setzen, da sehe ich ihn! Ganz unten in der kleinen Nische gleich neben der Tür steht er und schaut mit großen bettelnden Augen zu mir hoch. Er ist keine zehn Zentimeter groß. Sein gläserner Körper gefüllt mit einer klaren, leicht vibrierenden Flüssigkeit. Alles was er bei sich trägt ist ein wenig Verpflegung, welche er auf seinem Haupte trägt und ein kleiner Zettel. Behutsam greife ich danach, bewege mich ganz langsam um ihn nicht zu verschrecken. Auf dem Zettel stehen die folgenden Worte: "Mein Name ist "Russisch Koks", ich stamme aus den eisigen Wäldern Sibiriens. Meine Familie kann mich nicht mehr versorgen. Habt Erbarmen und nehmt euch meiner an. Der Herr soll es euch danken."Aus Mitleid nahm ich das vom Schicksal gebeutelte Geschöpf in den Kreis der Bonn-Bon´s Familie auf. Zunächst kümmerten sich Volker, Jürgen und ich um den kleinen. Er wuchs uns rasch ans Herz und schon kurze Zeit später wollten wir nicht mehr ohne ihn sein. Viele der Gäste die ein und aus gingen nahmen sich seiner an und verbrachten ihre Zeit oft bis in die tiefste Nacht mit ihm. Er gehörte nun dazu und ward glücklich bis ans Ende seiner Tage. Um vier musste ich Donnerstags und Samstags immer im Bon`s sein um den Abend vorzubereiten. Fässer und Container anschließen, Teig ausrollen("Hallo meine kleinen krabbelnden Kameraden") Tsazikki anrühren, Baguettes herauf holen, Zutaten für die Pizza klein schneiden. Aber vor allem schon mal eine Testpizza backen und verspeisen, ein paar Runden Flipper spielen und dabei ordentlich laut "Pinball wizzard"(The Who) hören. Eine halbe Stunde vor dem Aufmachen war der Techniker meist noch da gewesen und hatte ein paar Freispiele drauf gelassen. Ich brachte es in meiner Bonn Bon`s Zeit auf einundzwanzig Tickets wegen falsch parken. Die hab ich alle aufgehoben. Nicht das ich das besonders cool fand, ich hatte auch mit niemand eine Wette laufen wer die meisten Knöllchen bekommt. Der Grund war ganz einfach ein logistisches Problem. Wie erwähnt machte ich Musik im Bon`s und jeder D.J. brachte seine eigene Musik mit zur Arbeit und musste sie danach auch wieder mit nach Hause nehmen. Man hätte sie ansonsten auch gleich auf den Boden werfen und darauf rumtrampeln können. CD`s waren gerade erst am Anfang ihrer Karriere und so was wie MP3 war Sience-Fiktion. Also benötigte ich jeden Donnerstag und jeden Samstag meine drei Umzugskartons voller Schallplatten, Ich musste also möglichst nah an der Kneipe parken und die drei ätzend schweren Kisten hin und her schleppen. Im Nachhinein sind einundzwanzig Knöllchen in vier Jahren für die Arbeitserleichterung beim Transport aber noch tragbar.(Plattenkisten,...noch tragbar, ha ha!)
Michael Breest